USA vs Europa: Kampf der Kulturen 29.05.2018
Nordkorea-Gipfel, Iran-Abkommen, Strafzölle. US-Präsident Trump gibt derzeit auf der weltpolitischen Bühne den Ton an - ob einem die Musik gefällt oder nicht. Europa spielt bestenfalls die zweite Geige. Im Angesicht von Brexit und Italien-Chaos ist man hierzulande bemüht, das EU-Orchester noch halbwegs zusammenzuhalten. Doch nicht nur in der Politik spielt die Musik derzeit jenseits des Atlantiks. Auch wirtschaftlich wird Europa zunehmend zum Background-Sänger für die Pop-Stars der US-Wirtschaft. Das liegt auch an den unterschiedlichen Kulturen: Bedenkenträgerei, Besitzstandswahrung und Bürokratismus diesseits des Atlantiks. Risikobereitschaft, Zukunftsorientierung und Pragmatismus jenseits des großen Teichs. Das zumindest ist der Eindruck aus meiner US-Reise, die mich in den letzten vier Wochen von New York über Omaha und San Francisco nach Seattle führte.
New York: Financial Capital of the World
Beispiel New York: Vor zehn Jahren mit der Pleite von Lehman Brothers noch Ausgangspunkt der weltweiten Finanzkrise, präsentiert sich die Stadt heute wieder selbstbewusst als „Financial Capital of the World“ bzw. Welthauptstadt der Finanzen. Und das zu Recht, denn: Von der Regulierungsleine gelassen schreiben US-Banken mittlerweile wieder Rekordgewinne und stehen heute stärker da als vor der Krise. Europäische Banken hingegen - allen voran Deutsche Bank und Commerzbank mit ihren Kursverlusten von bis zu 90% - haben sich nicht wieder von der Krise 2008 erholt und sind heute nur noch Schatten ihrer selbst. Und das, obwohl – oder gerade weil – die EU die Finanzbranche einerseits übermäßig reguliert, andererseits aber das Abschreiben fauler Kredite aus politischen Gründen verschleppt.
Omaha: Woodstock des Kapitalismus
Oder mein Zwischenstopp in Omaha bei der jährlichen Hauptversammlung von Super-Investor Warren Buffett: Über 40.000 Anleger aus aller Welt pilgerten dieses Jahr zum „Woodstock des Kapitalismus“. Selbst Microsoft-Gründer Bill Gates war vor Ort. Dutzende Fernsehsender berichteten über mehrere Tage, ganze Schulklassen reisten mit Bussen an – die ganze Stadt und das halbe Land waren im Ausnahmezustand. Ein solches Event, bei dem es nicht etwa um ein Fußball-WM-Finale, sondern um das für viele Deutsche trockene Thema Geldanlage geht: hierzulande unvorstellbar.
Silicon Valley: digitale Weltherrschaft
Oder mein Zwischenstopp in San Francisco mit dem angrenzenden „Silicon Valley“: Hier sind mit Google, Facebook und Co. in den letzten Jahren Unternehmen aus Garagen heraus entstanden, die die digitale Weltherrschaft an sich gerissen und ihre Gründer zu Self-Made-Milliardären gemacht haben. Analoge Erfolgsgeschichten in Europa und Deutschland, wo Milliardenvermögen quasi ausschließlich innerhalb von Familiendynastien vererbt werden? Fehlanzeige. Und während sich der Dieselskandal hierzulande zäh wie Kaugummi durchs dritte Jahr schleppt, kommen einem auf den Straßen Kaliforniens bereits selbstfahrende Autos entgegen – wenn auch noch nicht immer ganz unfallfrei.
Seattle: Revolution des Einzelhandels
Zu guter Letzt mein Besuch in Seattle beim Onlinehändler Amazon: der lehrt weltweit den Einzelhandel das Fürchten. Hier, im Reich von Jeff Bezos – seit Kurzem reichster Mann oder Welt - kann man bereits im Amazon-go-Shop, dem weltweit ersten Supermarkt ohne Kassen, einkaufen. Dank hunderter Kameras und Sensoren wird der Kunde und was er so einkauft automatisch digital erfasst und über eine App abgerechnet - volle Datenkontrolle für Amazon inklusive. Und ein Horror für die Datenschützer in der EU, wo Ende Mai gerade ein Bürokratie-Monster in Form eines neuen Datenschutzgesetzes eingeführt wurde.
Fazit:
Wohin man auch schaut, pro-aktive Zukunftsgestaltung jenseits des Atlantiks, Besitzstandswahrung und Festhalten an alten Strukturen in Europa. Sicher: Weder in der Politik noch in der Wirtschaft ist alles gut, was aus den USA kommt - und nicht alles in Europa ist schlecht. In einer Zeit zunehmenden Wettbewerbs der politischen und wirtschaftlichen Systeme und rücksichtslos verfolgter America-First-Politik, besteht angesichts derart gravierender Kultur-Unterschiede jedoch die Gefahr, dass der alte Kontinent den Anschluß verliert. Für Anleger jedenfalls bedeutet das: Will man, dass sein Geld dort arbeitet, wo die Musik spielt, führt an einem nennenswerten Anteil US-Aktien im Depot kein Weg vorbei.