Arm durch Zinsen? 30.08.2023
Reich ist, wer von seinen Zinsen leben kann. So sieht es der Volksmund. Dummerweise ist das jedoch kaum erreichbar. Daran ändert auch die aktuelle Zinswende mit ihren auf den ersten Blick wieder attraktiven Zinsen von bis zu 4% nichts. Grund: Der Zins steht nicht allein im Raum, sondern muss stets in Zusammenhang mit der Inflation gesehen werden. Beide bedingen sich gegenseitig. Und auch, wenn es temporär zu Abweichungen zwischen Zins und Inflation kommt, langfristig gehen beide Hand in Hand.
Anfang der 1980er Jahre beispielsweise ließen hohe 8% Zinsen Sparerherzen höherschlagen und deren Vermögen entsprechend schnell wachsen. Allerdings nur auf den ersten Blick, denn den hohen Zinsen stand eine ebenso hohe Inflation gegenüber. Diese ließ den realen Wert des Vermögens in gleichem Tempo schmelzen, wie es die Zinsen wachsen ließ. Kapitalanleger wurden also nur vordergründig dank hoher Zinsen schnell reicher. Real, sprich unter Berücksichtigung der Inflation, wurden sie sogar ärmer, da der Zinsertrag in der Regel zu versteuern ist und somit netto nicht mehr ausreichte, um den ihm gegenüberstehenden Wertverlust durch Inflation zu kompensieren.
Anders während der Nullzins-Phase der letzten Jahre: Zwar mussten Anleger auf Zinsen verzichten, jedoch gab es auch kaum Inflation, die sie durch Zinsen hätten ausgleichen müssen, um ihr Vermögen nicht schrumpfen zu sehen. Nach der Zinswende gibt es nun zwar wieder bis zu 4% Zinsen, allerdings bei rund 6% Inflation. Die Folge: Wer sich im Sinne der Eingangsdefinition für reich hält, weil er mit einem Vermögen von 1 Millionen Euro bei 4% Zinsen von den 40.000 Euro Zinsertrag pro Jahr seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, hat die Rechnung ohne die Inflation gemacht. Diese hat den realen Wert einer Million in den letzten 12 Monaten um rund 60.000 Euro sinken lassen, so dass der Zinsertrag von 40.000 Euro vor Steuern nicht mal ausgereicht hat, um den Inflationsverlust auszugleichen.
Ergo: Zinsen sind nur die Rückseite der Medaille, die wir Geldsystem nennen, und deren Vorderseite die Inflation ist. Da beide in unterschiedliche Richtungen auf den realen Wert eines Vermögens wirken, lässt sich mit Zinsanlagen langfristig weder Vermögen aufbauen noch, wenn man anders zu einem Vermögen gekommen ist, von den Zinsen ohne realen Kapitalverzehr leben. Das gilt selbst über sehr lange Zeiträume. Laut einer US-Studie haben Zinsanlagen am Geldmarkt seit 1926 eine steuer- und inflationsbereinigte Rendite von rund -0,8% pro Jahr gebracht. 1.000 US-Dollar 1926 angelegt hätten sich demzufolge bis heute real mehr als halbiert. Von einem realen Zinsertrag, von dem man als Zinsanleger hätte leben können, keine Spur.
Super-Investor und einer der reichsten Menschen der Welt, Warren Buffett, bezeichnet Zinsanlagen denn auch als "Bekenntnis zu andauernder Armut". Der von linker Politik vorgebrachte Schimpf gegen leistungsloses Einkommen der Reichen aus Zins- und Zinseszins ist demnach eine Mär. Sie fußt darauf, nur eine Seite der Medaille, den Zins, zu betrachten und die Inflation, welche beständig am sauer Ersparten nagt, unter den Tisch fallen zu lassen.
Realer Wohlstand lässt sich für Kapitalanleger vor allem mit Aktien aufbauen. Sie verbriefen Beteiligungen an Unternehmen, sprich an der Wirtschaft. Die wiederum ist durch Produktion von Waren und Dienstleistungen die Quelle materiellen Wohlstands. Die 1.000 obigen US-Dollar aus 1926 angelegt in US-Aktien hätten sich bis heute denn auch bei rund 5% Rendite nach Steuern und Inflation auf über 100.000 US-Dollar mehr als verhundertfacht. Anders als von Zinsen, lässt sich von Aktienerträgen, sprich Dividenden, also sehr wohl nachhaltig leben.